Der Berliner mit italienischen Wurzeln spielt seine Betrachtungen über die Conditio humana vor einem großen Publikum mit einer solch lässigen Präzision, wie sie üblicherweise nur bei älteren Hasen des Kabaretts zu erleben ist. Dabei ist die Bühne erst seit kurzem sein neues Metier, bekannt wurde er den Menschen auf Instagram, YouTube und TikTok mit einem Ansatz, den keine Agenturschmiede für Influencer sich ausdenken kann. Rund zwei Millionen Follower regen sich in den sozialen Medien zusammen mit ihm über die Scheinwelt der Sozialen Medien auf. In seinem Bühnenprogramm wiederum legt er den Finger in die Wunden des realen Lebens. So gehe Niemand, laut Marco, zu Brettspielabenden wegen der Brettspiele, sondern nur wegen des Alkohols. Eltern denken über ihre Kinder in Wahrheit, sie seien undankbares Pack und erwarten selbstverständlich eine Gegenleistung für mindestens zwei Jahrzehnte der Aufopferung. Und schon ein Mittzwanziger wie er fühlt sich alt, wenn er eine Filiale von Snipes betritt und dort eine Hipster-Fremdsprache erlebt, die als Mischung aus Silicon-Valley- Englisch, MDMA-Restwirkung und sanftem Klingonisch gut beschrieben wäre. Ohne Politik und ohne Diskurs, ganz tief im alltäglichen Leben, geht es bei Marco Gianni somit durchaus um etwas. Ob bei seinen Videos im Netz oder beim Storytelling auf der Live-Bühne – dieser junge Mann führt vor, wie wir mit unseren verletzten Egos ständig ein Bild von uns zeichnen, das für alle dermaßen viel zu hoch hängt, dass unsere Seele Dehnungsschäden bekommt. Er zeigt nicht bloß, wie nackt der Kaiser ist, sondern auch all seine Untertanen.
Quelle: Schauburg Dresden (Kino)