Mit Prof. Ludger Udolph
Seit den 1860er Jahren gewann die tschechische Nationalbewegung zunehmend an ‚Schwung‘. Zu ihrem Zentrum entwickelte sich Prag, das durch den Zuzug von Arbeitskräften vom Lande immer mehr den Charakter einer tschechischen Stadt annahm. Ein wohlhabendes Bürgertum – Geschäftsleute, Unternehmer, Bankiers, Anwälte – gewann an politischem Einfluss; so war etwa der Prager Stadtrat seit den 80er Jahren nur mit Tschechen besetzt. Der neue Oberbürgermeister, Dr. Tomáš Černý, sprach damals emphatisch von „unserem hunderttürmigen, unserm alten, unserm geliebten goldenen slawischen Prag“.
Erhebliche Mittel flossen in die Neugestaltung des Prager Stadtbildes, dem nun das mittelalterliche jüdische Ghetto weichen musste; an seiner Stelle entstand ein moderner, von der Pariser Architektur geprägter Boulevard (die Pariser Straße); dieser wie auch der auf dem Laurenziberg als verkleinerter Eifelturm errichtete Aussichtsturm zeigen die Orientierung am modernen Paris. Es entstehen neue, das nationale Selbstbewusstsein repräsentierende Großbauten: das Nationaltheater an der Moldau, das Nationalmuseum am Kopf des Wenzelsplatzes, das Rudolfinum, die Universität, das Repräsentationshaus.
Konkurrierende religiös-nationale Symbole entstehen auf dem Altstädter Ring: das Hus-Denkmal und auf dem Wenzelsplatz: das neue Wenzeldenkmal.Durch Friedrich Smetana, Antonín Dvořák und Leoš Janáček gelangt die tschechische Musik nun zu Weltgeltung.
In der Literatur verhindert die Sprachbarriere eine solche weitreichende Wirkung, dem jedoch eine Fülle von Übersetzungen abhelfen sollten. Auch das wohl bekannteste Werk dieser Zeit, Jaroslav Hašeks Schwejk, hat seinen Weg in die Weltliteratur durch die Übersetzung von Grete Reiner mit den kongenialen Illustrationen von Josef Lada gefunden.
Der Vortrag möchte den kulturellen Reichtum Prags um 1900 in einem breiten Panorama erlebbar machen.
*
In Kooperation mit dem LOHGERBER Museum.
Quelle: Tschechisch Deutsche Kulturtage